Künstliche Intelligenz im Tourismus: KI-Experte gibt Einblicke in das Reisen der Zukunft

Künstliche Intelligenz (KI) transformiert die Tourismusbranche grundlegend und eröffnet sowohl für Unternehmen als auch für Reisende vielfältige neue Möglichkeiten. Einer, der sich mit der Materie auf unterschiedlichen Ebenen täglich beschäftigt ist Alex Mirschel, Experte für KI im Tourismus und Berater bei Realizing Progress. Er begleitet seit 15 Jahren Tourismusorganisationen und Unternehmen bei den Herausforderungen der digitalen Transformation und legt ein besonderes Augenmerk darauf, den Faktor Mensch stets im Fokus zu behalten.

„Künstliche Intelligenz soll den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Das gilt umso mehr in einem hochemotionalen People Business wie der Reisebranche“, sagt der gebürtige Frankfurter. Mirschel wurde 2023 als Sachverständiger für Künstliche Intelligenz in den Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages berufen und trat 2024 u.a. als Referent beim Deutschen Städteforum, dem KI Zukunftscamp des Deutschen Tourismusverbandes (DTV), dem KI-Zukunftstag des Deutschen Reiseverbandes (DRV) sowie großen Branchenveranstaltungen wie dem Hamburger Tourismustag als Keynote Speaker auf.

Als Mit-Initiator des KInkTanks, der ersten KI-Denkfabrik mit führenden Tourismusakteuren aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, versucht er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Thema Künstliche Intelligenz vor allem als Chance für eine positive Transformation der Branche zu verstehen. Er glaubt: „KI hat das Potenzial, Reisen nicht nur einfacher, sondern auch sinnstiftender zu machen. Sie hilft uns, die Bedürfnisse von Reisenden auf einer tieferen, individuellen Ebene zu verstehen – und auch tatsächlich entlang dieser Bedürfnisse zu bedienen“.

Künstliche Intelligenz im Tourismus: Hyperpersonalisierung als Megatrend?

Was der Tourismusprofi damit meint? Vor allem ein neues Level der Personalisierung. Durch maschinelles Lernen kann KI große Datenmengen analysieren, um präzise Einblicke in das Verhalten und die Vorlieben der Reisenden zu gewinnen. Das Ergebnis sind maßgeschneiderte Reiseempfehlungen, die weit über allgemeine Vorschläge hinausgehen. „Und das Beste daran: KI lernt mit jeder Interaktion dazu, sodass die Vorschläge immer besser und relevanter werden.“ Im Ergebnis sehe er zum Beispiel adaptive Reisewebseiten, die dank KI-Unterstützung und Large Language Models eine individuelle Tonalität und Bildsprache einschlagen, aber auch maßgeschneiderte Produkte und Angebote darstellten.

„Im Zeitalter der KI muss Gießkannenmarketing und Reisevertrieb im Blindflug endlich ein Relikt der Vergangenheit werden“, schiebt Mirschel ein. „Das gilt vom großen Onlineanbieter bis zum kleinen Reisebüro. Der Reisende der Zukunft hat eine andere Erwartungshaltung an Service, Erreichbarkeit und personalisierte Reiseprodukte. Insofern ist KI Fluch und Segen zugleich, denn der Druck für viele Marktakteure wächst gewaltig“.

Alex Mirschel meint damit vor allem den stationären Vertrieb, also klassische Reisebüros, die über viele Jahre dank ihrer persönlichen Erfahrungen und der Kenntnis ihrer Stammkunden eine Art Deutungshoheit hatten, welche Reiseempfehlungen wohl den jeweiligen Geschmack am besten treffen. Heute habe sich das Pendel in eine andere Richtung entwickelt, denn vor allem die großen OTA (Online Travel Agencies) haben es verstanden, detaillierte Kundendaten zu sammeln und können diese nun in der ständigen Ansprache zielgerichtet nutzen. „Reisebüros sollten jedoch nicht wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren, sondern ihre Expertise und ihr Domänenwissen mit der technologischen Innovation zu verschneiden„, empfiehlt Mirschel.

VisitKölnGPT: Ein KI-Pilotprojekt als Best Practice

Zu den Best Practices der KI-Projekte im Tourismus zählt VisitKölnGPT, an dem Alex Mirschel maßgeblich beteiligt war. Diese KI-Plattform unterstützt den Tourismusstandort Köln dabei, passgenaue Inhalte für ihre strategischen Zielgruppen zu entwickeln, ohne dass die Mitarbeitenden über ausgefeilte Promptingkenntnisse verfügen müssten. „Wir wollten dem Team eine Unterstützung an die Hand geben, die ihnen in der Praxis wirklich weiterhilft und dabei den gesamten strategischen Überbau von KölnTourismus bereits verinnerlicht hat“, beschreibt Mirschel den Ansatz.

Gemeinsam mit seinen Kollegen Roland Trebo und Florian Bauhuber wurde das Pilotprojekt mittlerweile zum innovativen DestiHub-Produkt ausgebaut und auch anderen Tourismusregionen zugänglich gemacht. Unter dem Dach des DestiHubs sollen Destinationen zukünftig eine Vielzahl an smarten Tools und KI-Anwendungen bündeln können, um diese an einer zentralen Stelle zugänglich zu machen. Denkbar sei auch eine Ausweitung auf B2C Anwendungen, die unmittelbar auf die Reisesuche und Reisebuchung sowie das Vor-Ort-Erlebnis der Gäste vor Ort abziele.

Hier sieht KI-Experte Alex Mirschel übrigens die größten Verschiebungen auf die Tourismusbranche zukommen. Reisende würden immer seltener klassische Suchmaschinen benutzen, sondern häufig auf Sprachassistenten, Chatbots und virtuelle Reisedesigner zurückgreifen. Tatsächlich werde erwartet, dass sich Suchvolumen über Google und Co. im Jahr 2027 um 30% bis 40% (gegenüber 2022) reduziert haben werden. „Die gesamte Customer Journey wird sich durch Künstliche Intelligenz wandeln, es werden einige Touchpoints völlig verschwinden, neue kommen hinzu. Auch die Rolle unserer Webseiten muss hinterfragt werden – sind wir für das KI-Zeitalter wirklich richtig aufgestellt?“

Künstliche Intelligenz und ein neues Denken im Tourismus

Mirschel spielt damit auf die neuen Anforderungen für Unternehmen und Tourismusorganisationen an. Während SEO (Search Engine Optimization) das Marketing- und Vertriebsgold der letzten 20 Jahre war, ginge es nun vor allem um KIO bzw. COAI (Content Optimization for Artificial Intelligence) – also die Optimierung von Inhalten und Daten für KI-Technologien und Chatbots. Hierfür würden veraltete Ansätze wie das sture Stuffing von Keywords oder der Aufbau von Hyperlinks allein nicht ausreichen. „Es geht im Wesentlichen darum, nicht einfach alte Prozesse mit KI effizienter zu machen, sondern kritisch und ehrlich darauf zu schauen, welche Arbeitsschritte zukünftig überhaupt sinnvoll sind“, berichtet Mirschel aus seinen zahlreichen KI-Workshops und Seminaren im Praxiseinsatz. „KI erfordert von der Reisebranche ein völlig neues Denken!“

Mirschel sieht in der Künstlichen Intelligenz jedoch nicht nur ein Werkzeug zur Verbesserung des Reiseerlebnisses, sondern auch einen Schlüssel zur Förderung nachhaltiger Praktiken. „Durch intelligente Datenanalyse können Reiseunternehmen umweltfreundlichere Entscheidungen treffen – von der Routenplanung bis hin zur Auswahl von Unterkünften, die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen“, so der erfahrene Tourismusprofi aus Frankfurt. Er verweist auf Projekte, bei denen KI genutzt wird, um den CO₂-Fußabdruck von Reisen zu berechnen und alternative, umweltfreundlichere Optionen anzubieten. „Wenn wir Daten transparenter machen und diese verständlicher in Kontext setzen, funktioniert auch das Nudging von Reisenden deutlich erfolgsversprechender.

In den kommenden Jahren erwartet Mirschel, dass KI zunehmend auch für die Unterstützung kleinerer Organisationen, Destinationen und Reiseanbieter verfügbar wird. „KI wandert in unsere Hosentaschen, in unsere Wohnzimmer, unseren Alltag. Es ist dennoch wichtig, dass wir Technologien entwickeln, die nicht nur den großen Konzernen, sondern auch kleinen und mittelständischen Unternehmen zugutekommen. Nur so können wir die Reisebranche nachhaltig stärken. Wir müssen endlich den Innovationsstandort Deutschland nach vorne bringen, neuen Mut und Unterstützung für Unternehmertum wecken, damit eine gesunde Startup-Kultur auch im europäischen Tourismus neue Impulse erzeugt.“

Als Beispiele für KI-Tools nennt Mirschel unter anderem das Unternehmen Adigi, das mit dem Superkollegen eine KI-unterstützte Entlastung für Reisebüros anbietet. Hierbei werden Teile der Bedarfsermittlung und Kommunikation mit den Kunden vom virtuellen Assistenten übernommen, wobei die menschlichen Mitarbeitenden jederzeit eingreifen und übernehmen können. Spannend sei auch der Ansatz von ViralSpoon, das Ende 2024 als Startup des Jahres in der Reisebranche ausgezeichnet wurde. ViralSpoon verspricht in erster Linie Social Media Arbeit auf Autopilot. Auch hier solle KI vorrangig bei kleineren und mittelständischen Unternehmen als Entlastung wahrgenommen werden.

Fazit: Mensch und Maschine gestalten die Zukunft des Reisens

Wir erleben auch im Tourismus momentan Wandel auf Speed. Künstliche Intelligenz wird die Art der Reiseplanung und Reisebuchung sowie der Destinationserlebnisse vor Ort zweifellos verändern. Doch wird sie menschliche Interaktion vollständig verdrängen? Trotz aller Fortschritte betont Mirschel, der auch bei TravelKlima als Intitiator und Gesellschafter mitwirkt, dass der Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen müsse. „Technologie ist kein Selbstzweck. Sie sollte uns helfen, das ‚Produkt Reisen‘ menschlicher zu machen, indem sie uns von Routineaufgaben befreit und uns die Möglichkeit gibt, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das gilt für Anbieter und Reisende gleichermaßen.“

Der technologische Trigger KI sorgt zugleich für eine Disruption in vielen Märkten. Studien erwarten, dass Hunderttausende Jobs dieser Entwicklung zum Opfer fallen werden, während völlig neue Berufsbilder hinzukommen und sich Rollenverständnisse sowie Aufgaben verändern werden. Eine spannende Zeit, bei der unterm Strich doch vor allem wir Menschen entscheiden werden, wo die Reise tatsächlich hingeht.

In den Worten von Mirschel: „Die Zukunft des Reisens ist nicht nur digital, sie ist urmenschlich. Wir wollen schmecken, fühlen, erleben – dem Alltag entfliehen und echte Emotionen spüren. Zugleich streben wir nach mehr Effizienz und weniger Planungsaufwand. KI wird uns dabei helfen, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Sie darf uns aber nie der mystischen Magie des Reisens berauben, diesem oft kindlichen Kribbeln des Überraschenden und Fremden. Jede Bewegung hat stets auch eine Gegenbewegung. Vielleicht schalten wir zukünftig auch wieder häufiger in den Offlinemodus, biegen entgegen jeder Empfehlung links ab und lassen uns einfach treiben auf einem Pfad der ungeplanten Imperfektion.“